Unser aller Angelegenheit
von Jurij Brezan, Schriftsteller

veröffentlicht am 11.02.2000, Sächsische Zeitung

Vor genau 55 Jahren sagte ich in einer Situation, in der es für mich um Leben und Tod ging, zu einem Gestapooffizier: "Vielleicht liebe ich Deutschland mehr als Sie." Der Satz rettete mich nicht, mich rettete ein Luftwaffengeneral. Das Deutschland, das ich meinte, war für mich Topos und Literatur, Kunst und Geschichte, waren tausend Gesichter, Kinder, Frauen, Männer und ihre Menschengeschichten.
Ende Januar 1945 jedoch war es notwendig, wieder Deutschland zu denken, und so half sich mein Gehirn, indem es einen Punkt fand, indem alles zusammenlief, auch meine ganz persönliche Geschichte. Der Punkt war Dresden. In "Mein Stück Zeit" habe ich geschrieben, warum und wie diese Stadt mein Synonym für Deutschland wurde, und dass ich eingewachsen war in dieses Land und keine Loslösung möglich, es sei denn ich zerschnitte mich selbst. Ich bin, wie es scheint, auch heute tiefer verbunden diesem Land als der Sächsische Kulturminister und plädiere für es, wenn ich mich gegen den Minister stelle. Der Minister, möglicherweise gefordert und darin gefördert durch seine Kollegen für Finanzen (den die überwältigende Mehrheit sorbischer Wähler als ihren Vertreter in den Landtag gewählt hat) - plant die beiden einzigen sorbischen Mittelschulen ohne deutschsprachige Parallelklassen zu schließen. Von den Grundschulen ist "zunächst, vorläufig, zur Zeit" nicht die Rede. Der Minister erklärt sich bereit, mit den "Betroffenen" über diese Angelegenheit zu reden und meint, die "Betroffenen" seien die Bürgermeister. Es ist nicht begreifbar, dass ein Minister nicht weiß, dass hier ein ganzes Volk - wenn auch das kleinste Europas - betroffen ist, getroffen in seinem Lebensnerv. Ohne Schule über die Grundschule hinaus wird die Sprache zur "Haussprache" , die schnell verkümmert und in absehbare Zeit verhaucht. Damit wären alle Sorgen mit den Sorben aus der Welt. Kaiser Wilhelm II. und sein eiserner Kanzler Bismarck hielten das sorbische Volk für "einen Pflock im deutschen Fleisch", den herauszuziehen besonders die Schule geeignet sei.
Hitler fegte jedes sorbische Wort aus der Schule, und sein Himmler plante den ethnischen Tod für uns an den Grenzen des tausendjährigen Reiches, - ausdrücklich ohne Bildungsmöglichkeiten. Margot Honeckers Ministerium verbannte aus abstrusen Vorstellungen über eine "Internationalisierung der Sprachen" zunächst und als Anfang die sorbische Sprache zu wesentlichen Teilen aus der Schule. Will der sich wirklich aus "verwaltungstechnischen" Gründen hinter Margot Honecker einreihen? Denkt er nicht an Deutschland? Ich denke an Deutschland und will, dass es ein gutes Land auch für uns sei und will nicht, dass es Schaden nimmt. Es nähme aber Schaden, wenn es beförderte, dass ein autochtones Volk, das einmal das Land zwischen Saale und Neiße besiedelte, aus der Liste der lebenden ethnischen Existenzen gestrichen würde. Nicht nur bei unseren nächsten Nachbarn im Süden und Osten würden Misstrauen und Befürchtungen nicht abgebaut, sondern verstärkt. Und es blieben auch nach uns Zeichen - in Museen, in Büchern, in Namen - dass wir einmal hier gelebt haben, und man würde fragen, wie es im demokratischen Deutschland zu diesem Ende hatte kommen können. Ein Schatten bliebe auf unserem Land.
Nun mag mancher meinen, ich übertreibe die Konsequenzen, die sich aus den Plänen des Kulturministers ergäben. Doch – wir haben etwas mit dem jüdischen Volk gemeinsam; Wir riechen den Rauch schon, bevor das Feuer ins Getto geworfen wird.
Der Minister erklärt, die Schule solle konsequent zweisprachig sein, werden. Die sorbischen Kinder sind aber alle zweisprachig, sein Appell müsste sich also an die richten, die mit uns in unseren Dörfern wohnen - Nachbarn und Freunde, die nicht zweisprachig sind. Da wäre wirklich die Lösung zu finden, die unserem Land im vielsprachigen geeinten Europa überaus gut zu Gesicht stünde.
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